
In der Rechtssache C-336/19 wird der EuGH in Kürze über die Zulässigkeit einer Untersagung des rituellen betäubungslosen Schlachtens, sogenanntes Schächten, in Belgien entscheiden. Der Generalanwalt hat in seinen Schlussanträgen offenbar eine generelle Untersagung des Schächtens durch EU-Mitgliedstaaten für unvereinbar mit der Religionsfreiheit gehalten. Die Schlussanträge des Rechtsgutachters geben regelmäßig einen Hinweis darauf, wie das Gericht entscheiden könnte; sie sind aber für die Richter nicht bindend.
Mit Bezug auf das Rechtsgut Tierschutz ist hierbei aber auch die andere Tendenz zu berücksichtigen. So besteht in der Zwischenzeit in mehreren EU-Mitgliedstaaten, Island, Lettland, Liechtenstein, Polen, Norwegen, Schweden sowie Dänemark, und beispielsweise auch in der Schweiz mittlerweile eine Betäubungspflicht auch beim rituellen Schlachten. Auch die Türkei hat im Jahr 2011 generell eine Pflicht zur Elektrokurzzeitbetäubung eingeführt. Ferner wird zumindest eine Elektrokurzzeitbetäubung auch in Deutschland seitens der jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften inzwischen weitgehend und weiter zunehmend als religionskonform anerkannt. Hierbei wird u.a. berücksichtigt, dass die zwischenzeitlichen modernen Betäubungsmethoden zum Zeitpunkt des Verfassens der religiösen Schriften nicht bekannt waren und dass diese Betäubungsmethoden weder ein Ausbluten der Tiere verhindern noch irreversible Schäden am Tierkörper verursachen noch das Tier zum Zeitpunkt der Schlachtung tot ist.
Folglich trägt wenigstens eine Elektrokurzzeitbetäubung den Rechtsgütern Tierschutz und Religionsfreiheit angemessen Rechnung. Daher werden betäubungslose rituelle Schlachtungen inzwischen auch in Deutschland als entbehrlich angesehen u.a. nach meiner kürzlichen Veröffentlichung in der Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht – ZLR 4/2020.

Eine zu Grunde liegende Bachelorarbeit und mein Beitrag in der Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht -ZLR 4/2020- beleuchten diese Frage, ob nach dem sogenannten “Schächt-Urteil” des BVerfG aus 2002 die zwischenzeitlichen Entwicklungen eine Neubewertung der Grundrechtsgüterabwägung erfordern.
Danach erlauben die Entwicklungen seit dem Schächt-Urteil des BVerfG 2002 unter besonderer Berücksichtigung des nachfolgenden Staatsziels Tierschutz gemäß Art. 20a GG, der vorgesehenen Betäubung nach den Halal-Richtlinien des Europäischen Halal-Zertifizierungsinstituts, der Einführung der Elektrokurzzeitbetäubung in der Türkei, den Betäubungsgeboten für rituelle Schlachtungen in einer zunehmenden Anzahl von EU-Mitgliedstaaten, der genannten EuGH-Rechtsprechung aus 2019 zu den vermehrten Leiden bei betäubungslosen Schlachtungen und der geänderten gesellschaftlichen Betrachtungsweisen mit zunehmenden Tierwohlinteressen eine Neubetrachtung der Grundrechtsabwägungen. Danach trägt eine Schlachtung mit Elektrokurzzeitbetäubung im Rahmen der praktischen Konkordanz den Verfassungsgütern Tierschutz als auch Religionsfreiheit verhältnismäßig Rechnung und verhindert bei jeder einzelnen Schlachtung entsprechende vermeidbare Leiden für die betroffenen Tiere. Folglich ist zumindest eine Elektrokurzzeitbetäubung angemessen. Danach ist eine Ausnahme für rituelle Schlachtungen ohne jegliche Betäubung mit Entbluteschnitt bei vollem Bewusstsein der Tiere nicht mehr erforderlich.
Die Entscheidung des EuGH in Kürze deutet auf interessante Erkenntnisse hin.